Umweltaktivist*innen und Stahlgegner*innen treten Haftstrafe an
Umweltaktivist*innen und Stahlgegner*innen treten Haftstrafe an
Landgericht verhindert Rechtsmittel gegen Haft
Nach einer satirischen Protestaktion gegen die Rodung eines Bannwalds für Stahlproduktion [1-5] wurden die im süddeutschen Raum bekannten Klimaaktivist*innen Samuel Bosch (21) und Charlie Kiehne (21) im vergangenen Oktober vor dem Augsburger Landgericht zu Jugendarrest verurteilt. Nun soll der drei beziehungsweise eine Woche andauernde Arrest vollstreckt werden — allerdings liegt ein schriftliches Urteil weiterhin nicht vor. “Der Richter nimmt uns damit nicht nur unsere Freiheit, sondern auch unsere Rechtsmittel”, so Bosch.
Im Oktober 2022 genehmigte die Regierung von Schwaben die vorgezogene Rodung eines Bannwalds für die Erweiterung der LechStahlwerke bei Augsburg, obwohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, durch die Klagen angrenzender Gemeinden, noch damit beschäftigt war, zu prüfen, ob die Rodung überhaupt stattfinden durfte [6,7,8]. Daraufhin protestierten Bosch und Kiehne zusammen mit mehreren anderen Aktivist*innen mit einer Kletteraktion am Regierungsgebäude gegen die Rodung und die “rücksichtslos expandierende Stahlproduktion”. Zwei von ihnen wurden am Amts- und Landgericht Augsburg zu Jugendarrest verurteilt. “Die Expansion der Stahlproduktion ist Teil unseres auf Wachstumszwang basierten Wirtschaftssystems, das unsere Welt und ihre Ökosysteme kaputt macht”, kritisiert Bosch. “Die jungen Menschen werden, ob das die Gesellschaft gut findet oder nicht, weiterhin gegen den Wachstumswahn mit hemmungsloser Naturzerstörung und für Klimagerechtigkeit aktiv bleiben”, so Manfred Scheurenbrand (67), ein Anwohner der Wahlheimat von Bosch und Kiehne, dem Altdorfer Wald bei Ravensburg.
Charlie Kiehne ergänzt: “Die Stahlproduktion ist mit ihren riesigen CO2- Emissionen für einen beträchtlichen Teil der Erdaufheizung verantwortlich. Wir können es uns nicht leisten, Stahlwerke zu vergrößern. Stattdessen müssen wir weniger Stahl verbrauchen.” Tatsächlich verursacht die Stahlproduktion sogar mehr CO2-Emissionen als die Zementindustrie [S].
Verhindert das Landgericht eine Verfassungsbeschwerde bewusst?
Dass die Haft zum jetzigen Zeitpunkt vollstreckt wird, ist ungewöhnlich, denn ein schriftliches Urteil gibt es noch nicht. Üblicherweise wird das Urteil geschrieben, bevor es vollstreckt wird. Ohne schriftliches Urteil fehlt den Baumpfleger*innen nun die Möglichkeit, ihre bereits im Oktober 2023 angekündigte Verfassungsbeschwerde einzulegen und damit die Gerichtsentscheidung aus Augsburg anzufechten. “Sind hier nur Briefe durcheinandergeraten, oder unterdrücken sie eine Verfassungsbeschwerde?”, fragen sich die Aktivist*innen über die Beweggründe der Richter.
Auch Strafverteidiger Klaus Schulz findet die Vorgänge verwunderlich: “Dass das Landgericht Augsburg zwei junge Menschen ohne relevante Voreintragungen zu Arrest verurteilt, ist absolut unverständlich und ungewöhnlich, so dass ich die erzieherischen Gründe gerne in der Urteilsbegründung nachvollzogen hätte. In der Verhandlung gab es von Seiten des Landgerichts zwar viele Emotionen und persönliche Meinungen, wie Aktivismus auszusehen hätte, aber leider wenig sachliche Erklärung.”
Schon die Richterin am Amtsgericht irritierte mit dem Erlass eines Haftbefehls, nachdem Schulz mehrmals aufgrund von eigenen Terminen am Ravensburger Amtsgericht um Terminverlegung bat [9]. Ein Kommentator attestierte ihr “mangelnde politische Reife” [10].
Einengung demokratischer Freiräume
“Dass wir bestraft werden statt der Regierung von Schwaben reiht sich in die Ereignisse der letzten Monate ein”, findet Bosch. “Wir erleben im Zuge des fortschreitenden Rechtsrucks zusehends, dass wichtige traditionelle demokratische Freiräume immer weiter beschnitten werden. Rechte Motivationen im Rechtssystem schlagen um sich, während die anderen scheinbar wegschauen. Am Ende verliert die Demokratie.” Kiehne pflichtet bei: “Anstatt den Aufschrei gegen Rechts einfach verstummen zu lassen, müssen wir weiter für eine gerechte Welt kämpfen. Es kann nicht sein, dass Aktivist*innen weggesperrt werden, die seit Jahren für soziale und klimagerechte Transformation und damit auch gegen einen Rechtsruck kämpfen, während Parteien ihr Wahlprogramm bei der AfD abschreiben und sich trotzdem auf Demos gegen Rechts in den Himmel loben. Unsere Arbeit müsste unterstützt und nicht bestraft werden!”
Seit letztem Jahr steht Deutschland aufgrund erheblicher Einschränkungen der Versammlungsfreiheit auf der offiziellen Ächtungsliste von Amnesty International [A1]. Insbesondere Protestaktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung seien immer wieder von übermäßiger Polizeigewalt und Verboten betroffen, anstatt diese als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schützen [A2]. “Mit dem reflexartigen Unterbinden und Kriminalisieren von ungewöhnlichen politischen Aktionen von seiten verschiedenster Behörden verschwendet der Staat Energie und Ressourcen für sinnlose Erziehungsmaßnahmen gegen Klimaaktivist*innen, statt sich endlich konstruktiv um Klimagerechtigkeit zu bemühen”, meint Kiehne.
Auch Jürgen Köhnlein, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Bayern, fordert gegenüber dem ZDF ein Umdenken von der Politik [K]. Weil sie davon überzeugt sind, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, führen Gewahrsamnahmen bei Klimaaktivist*innen nicht zu einer dauerhaften Einschüchterung. Auch für die Zeit der Haft planen nach eigener Aussage Unterstützer*innen von Bosch und Kiehne Protestaktionen.
Hintergründe
An einem Samstagmorgen im Oktober 2022 (22.10.2022) kam es zur Teilrodung des Lohwalds bei Langweid und Biberbach. Zu diesem Zeitpunkt war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, wie auch jetzt noch, mit der Rechtswidrigkeitsprüfung des Rodungsvorhabens beschäftigt. Diese Rechtswidrigkeitsprüfung hatten die an den Lohwald angrenzende Gemeinde Biberbach sowie der BUND Naturschutz mit einer Normenkontrollklage auf den Weg gebracht. Bannwälder sind nach dem Bayerischen Waldgesetz besonders geschützt und dürfen nur unter ganz speziellen Bedingungen gerodet werden, Art. 9 des Gesetzes setzt für ein solches Rodungsvorhaben voraus, dass “zwingende Gründe des öffentlichen Wohls es erfordern” [G].
“Solange der Bayerische Verwaltungsgerichtshof noch mit der Rechtswidrigkeitsprüfung beschäftigt ist, können wir keine Genehmigung für eine vorgezogene Lohwald-Rodung ausstellen”. Eine Routineantwort wie diese hatten wohl die Gemeinden Langweid und Biberbach von der Regierung von Schwaben erwartet, als die LechStahlwerke am 4.10.2022 dort einen speziellen Ausnahmeantrag stellten. Doch es kam anders: Trotz der auch jetzt noch anhängigen Normenkontrollklagen gestattete die Regierung von Schwaben die umstrittene Rodung: Nach nur zehn Tagen Bearbeitungszeit hatten die Lech-Stahlwerke die Ausnahmegenehmigung in der Tasche – ohne, dass der Verwaltungsgerichtshof involviert wurde. Für die vom VGH ungeprüfte Genehmigung fiel für die Lech-Stahlwerke nur eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 250 € an [B].
Um eine größere Öffentlichkeit auf diese Unregelmäßigkeiten hinzuweisen, nahmen mehrere Klimaaktivist*innen mit einer satirischen Kunstaktion die Regierung von Schwaben aufs Korn. Schilder mit den Aufschriften “Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!” sowie “Den Lohwald für 250 € verhökern? Frech!” brachten sie kletternd an der Fassade des Regierungsgebäudes an. Das Augsburger Amts- und Landgericht sah diese Meinungsäußerung weder von der Meinungs- noch der Versammlungsfreiheit gedeckt.
In ähnlich gelagerten Fällen hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Genehmigungen zur Bannwaldrodung immer wieder auf [13,14] und Aktivist*innen feierten vor Gericht Siege auf ganzer Linie [15].
Referenzen
[1] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-land/augsburgmeitingen-klima-aktivisten-nehmen-regierung-von-schwaben-aufskorn-id64382891.html
[2] https://www.augsburg.tv/mediathek/video/aerger-um-protestermittlungen-gegen-augsburger-klimaaktivisten/
[3] https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-lech-stahlwerkeklimacamp-polizei-regierung-von-schwaben-1.5682862
[4] https://www.zeit.de/news/2022-10/27/ermittlungen-nachprotestaktion-bei-regierungsbehoerde
[5] https://www.daz-augsburg.de/90948-2/
[6] https://www.br.de/nachrichten/bayern/lech-stahlwerke-sorgen-mitbannwald-rodung-fuer-kritik,TLBZdnV
[7] https://www.br.de/nachrichten/bayern/bannwald-rodung-bei-
stahlwerken-vor-gericht,TQRhKFH
[8] https://www.forumaugsburg.de/s_5region/Bezirk/210722_kampfgegen-die-rodung-des-lohwalds-durch-die-lechstahlwerke-meitingen/index.htm
[9] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/haftbefehle-gegen-klimaaktivisten-aus-ravensburg-100.html
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/642/richterinfehlt-die-politische-reife-8971.html
[11] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-nachprotest-gegen-abholzaktion-klimacamper-erneut-auf-der-anklagebankid68133166.html
[12] https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburgregierungsgebaeude-besetzung-blechschmidt-1.5763823
[13] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/vgh-entscheidungkiesabbau-waldrodung-planegg-1.6093536
[14] https://www.br.de/nachrichten/bayern/verwaltungsrichter-stoppenvorerst-bannwaldrodung-in-planegg,TltNDMx
[15] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/forstkasten-neuried-amtsgericht-muenchen-klimaproteste-ingoblechschmidt-1.6301572
[A1] https://www.fr.de/politik/klimaaktivisten-amnesty-internationaldeutschland-versammlungsfreiheit-repression-proteste-liste-zr92528884.html
[A2] https://netzpolitik.org/2023/interaktive-karte-amnesty-kritisierteinschraenkung-der-versammlungsfreiheit-in-deutschland/
[B] https://www.lohwibleibt.de/frech.pdf (Seite 4)
[F] https://classic-ravensburg.klimacamp-augsburg.de/pressespiegel/
schwaebische-1423309.jpeg
[G] https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayWaldG-9
[K] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/panoramapraeventiv-gewahrsam-klimaaktivisten-100.html (Zeitstempel 0:55)
[S] https://www.klimaschutz-industrie.de/themen/branchen/stahlindustrie/